Autoreninterviews

Mit unseren Autoreninterviews stellen wir Ihnen neue und bekannte Autoren des Karl-Mahnke-Verlages vor, um Ihnen die Menschen hinter unseren Stücken ein wenig näher zu bringen.

Interview mit Wolfgang Barth

(24.09.2018)


Wenn man Ihren Lebenslauf betrachtet, fällt auf, dass Sie in Ihrem Leben immer wieder Zeit in Frankreich verbracht haben. Woher kommt Ihre Liebe zu Frankreich und der französischen Sprache und wann hat diese begonnen?


Am Anfang stand ein Auslandssemester in Paris, bei dem ich meine spätere Frau kennenlernte. Dann war besonders prägend die französische Familie, das Alltagsleben dort, der Blick von außen auf Deutschland und die Deutschen. Beruflich der Französischunterricht, Austauschprojekte, außerschulische Aktivitäten, Zusammenarbeit mit dem Institut Français in Bremen, Beschäftigung mit der Literatur. Das Französische wurde nach und nach Teil meiner Identität.

Welchem Land würden Sie den Vorzug geben? Worin unterscheiden sich die beiden Länder?

Ich lebe sehr gerne hier in Norddeutschland. Alles funktioniert so gut. Man kann immer noch in Frieden leben und arbeiten. In den Ferien und immer, wenn es sonst möglich ist, bin ich in Frankreich, empfinde das dann nach wie vor als etwas Besonderes und fühle mich wie ein Fisch im Wasser. Es gibt sehr viele Unterschiede in unzähligen Details, die man nicht aufzählen kann. Am besten schaut man sich hierzu Karambolage bei Arte an.

Seit 2014 sind Sie Mitglied im französischsprachigen und im deutschsprachigen Komitee des europäischen Netzwerkes für Theaterübersetzung EURODRAM. Wie sieht Ihre Arbeit dort aus?

Im europäischen Netzwerk für Theater in Übersetzung EURODRAM arbeiten derzeit ca. 300 Mitglieder in nach 24 verschiedenen Sprachen Europas, des Mittelmeerrau-mes und Zentralasiens organisierten Komitees. Ziel ist die Förderung neuerer Theaterstücke, ihrer Übersetzung und Zirkulation im Gesamtraum des Netzwerkes. Jährlich alternierend können Theaterstücke in der jeweiligen Sprache und dann im Wechsel Theaterstücke, die bereits in diese Sprache übersetzt wurden, an das zuständige Komitee eingereicht werden. Die Mitglieder in jedem Komitee lesen die Stücke, bestimmen jährlich eine Auswahl von jeweils drei besonders förderungswürdigen Stücken und entfalten unterstützende Tätigkeiten zu ihrer Übersetzung, Verbreitung, Zirkulation und Aufführung. So lese ich also als Mitglied des deutschsprachigen und des französischsprachigen Komitees jedes Jahr Dutzende von neuen Theaterstücken aus dem deutschen und französischen Sprachraum, aber auch, wegen der bereits vorliegenden Übersetzungen in jedem zweiten Jahr, aus den verschiedensten Sprachräumen des Netzwerkes, entdecke einen ungeheuren Reichtum an Produktionen und genieße den lebendigen Austausch mit den Mitgliedern der eigenen und fremden Komitees z.B. bei den Jahresversammlungen. Sie fanden zuletzt in Sofia, Istanbul und Lissabon statt, und 2018 treffen wir uns in Budapest. Das alles kommt mir als Übersetzer sehr entgegen.
(Weitere Informationen z.B. unter http://eurodram.org/vorstellung-des-netzwerks-eurodram/)

2018 sind Sie durch Ihre Arbeit im französischsprachigen Komitee von Eurodram auf BERTRAND FÄLLT AUS aufmerksam geworden. Was hat Sie an diesem Stoff so sehr gereizt, dass Sie sich entschlossen haben, es zu übersetzen? In welcher Weise hat es sich von den anderen Stücken abgehoben?

Für mich ist das Stück komisch an der Grenze zum Absurden und gleichzeitig hellsichtig und tiefgründig. Es tut gut zu sehen, wie Bertrand, der einfach nicht mehr mitmachen kann, weil er dieser Welt nicht mehr gewachsen ist, relativ gelassen bleibt. Man erlebt die unterschiedlichen Reaktionen der Menschen um ihn herum, und das sind beispielsweise bei den nächsten Angehörigen Panik, Vorwurf und vernichtende Schuldzuweisung solange, bis klar wird, dass Bertrands neuer Zustand lukrativ ist. Aber da steht Bertrand eben wieder auf. BERTRAND FÄLLT AUS ist eine Komödie in echtem Sinne, die mit einfachen Mitteln die Welt erklärt und die Regel beherzigt, dass man im Theater auch einmal lachen darf. Jedes im Komitee vorgelegte Stück unterscheidet sich vom anderen und hat seinen eigenen Wert. Verschieden sind auch die Einschätzungen der Komiteemitglieder. BERTRAND hat aber mit drei anderen, ebenfalls wieder völlig unterschiedlichen, ernsten und für eine Gegenwartsaussage gewichtigen Stücken Mehrheiten bekommen und gehörte so zur Auswahl 2018.

Worauf legen Sie bei der Auswahl Ihrer Stücke, die Sie übersetzen wollen, generell wert? Welche Art von Stücken reizt Sie da besonders?

So ernst und problematisch unsere Welt heute ist, scheint es mir doch wichtig, dass man das Lachen nicht verlernt. Stücke, in denen es keinen Ansatz von Humor gibt, haben es bei mir etwas schwerer, obwohl sie ebenfalls notwendig sind. Das Theater ist nicht nur ein Ort der Belehrung und der Weltaussage, sondern auch des Vergnügens. Ich möchte ein Stück übersetzten, wenn es mich packt, weil es eine wichtige Aussage hat, wenn man sagen kann, ja, so ist die Welt, sie sollte anders sein, wenn aber auch durchscheint, dass Sisyphus wieder seinen Stein rollt und dies nach Camus seine Existenz kennzeichnet und zu seinem Glück gehört.

Gab es bei BERTRAND FÄLLT AUS eine besondere Herausforderung für die Übersetzung?

Sie lag in der trockenen Ironie des Stils. Die beschriebenen Vorgänge sind so einfach und doch so verblüffend grotesk. Wenn die Übersetzung dies nicht erfasst, verliert das Stück an Wert. Da habe ich mich angestrengt.

Wie war die Arbeit für Sie mit Frau Leconte? Wie haben Sie (im modernen Zeitalter der Kommunikation) zusammengearbeitet? Wie oft haben Sie sich ausgetauscht?

Das Stück liegt ja vor. Da war die Autorin zunächst nicht so wichtig. Ich arbeite mit dem Stück und an der Übersetzung. Die Auseinandersetzung mit der Autorin findet statt, wenn ich den Eindruck habe, dass ich etwas nicht verstehe und zum Glück nachfragen kann. Das geschah dann per E-Mail und nicht sehr oft. Als ich am Ende der Arbeit dann Madame Leconte kennenlernte, war ich sehr froh über die Begegnung „très à la hauteur de l’attente“.

Wie gehen Sie grundsätzlich bei einer Übersetzung vor?

Der zu übersetzende Text muss mir gefallen. Am besten ist es, wenn ich regelrecht wild darauf bin, ihn einem deutschsprachigen Publikum zugängig zu machen. Diesen Luxus kann ich mir (im Unterschied zu vielen Übersetzern) leisten, will ich zu meinem Lebensunterhalt nicht nur auf das Übersetzen angewiesen bin. Weiter brauche ich die Zustimmung der Autorin oder des Autors und muss sie oder ihn gegebenenfalls davon überzeugen, dass ich der richtige Übersetzer bin. Zunächst fertige ich dann eine „handwerkliche“ Übersetzung an: Sie muss alle semantischen Elemente des Originals erfassen und dies schon mit Blick auf die Diktion und Erfahrungswelt der Zielsprache. Dafür sind oft auch Recherchen oder Forumsdiskussionen notwendig. Dann verschaffe ich mir einen zeitlichen Abstand zum Text und übersetze ihn auf der Grundlage der ersten Version zum zweiten Mal, jetzt aber mit der Selbstauflage, einen wirklich deutschen Text zu produzieren, der natürlich dem Original an keiner Stelle untreu werden darf. Danach erfolgt günstigenfalls eine dritte Lektüre durch eine außenstehende Person, die nicht durch das Original abgelenkt sein soll. Die Erfahrung zeigt, dass man selbst dann das Ganze noch einmal durchgehen muss, weil es immer noch Fehler gibt. Eine interessante Beobachtung ist auch, dass das Unterbewusstsein weiter an der Übersetzung arbeitet. Zu den unmöglichsten Zeitpunkten und an den seltsamsten Orten fallen einem plötzlich gute Wendungen ein.

Auffällig bei Ihren Übersetzungen sind die weiterführenden Fußnoten, die Sie eingefügt haben. Was beabsichtigen Sie damit?

Die Konnotationen des Originaltextes setzen oft Erfahrungswelten der Ursprungs-sprache voraus, über die ein Rezipient in der Zielsprache nicht verfügt. Solche Informationen muss dann der Übersetzer in Fußnoten liefern, wenn er das nicht durch geniale, an der Zielsprachenwelt orientierte Übersetzungsentscheidungen in der Übersetzung selbst tun kann. (Ein Beispiel aus BERTRAND: Nicht jeder versteht gleich, warum die Psychologinnen so schockiert nachfragen, wenn Bertrand als seinen bevorzugten Urlaubsort Clermont-Ferrand nennt.)

2011 erhielten Sie die Auszeichnung „Chevalier dans l’Ordre des Palmes académiques“ [die „Akademischen Palmen“] für an der französischen Kultur geleistete Dienste. Welche Leistungen wurden hier prämiert?

Wahrscheinlich die jahrelange Zusammenarbeit mit dem Institut Français, die u. a. zur Einführung der externen französischen Sprachprüfungen DELF/DALF an den Bremer Schulen führte, oder die Mitinitiierung des „Prix des lycéens allemands“ nach dem Vorbild des französischen Literaturpreises „Prix Goncourt des lycéens“. Vielleicht auch Lehrerfortbildungen Französisch oder die Arbeit in der Abiturkommission o.ä. So genau weiß ich das auch nicht. Ich war auf jeden Fall überrascht, als ich das erfuhr, und freute mich.

Was machen Sie, wenn Sie nicht gerade schreiben bzw. übersetzen?

Das Übersetzen gehört zu meinen wichtigen Leidenschaften. Und sonst eben, was das Leben so ausmacht. Ich bin froh, mich dem stellen zu können.

Lieber Herr Barth, vielen Dank für Ihre Zeit und die Einblicke, die Sie in Ihr Leben und Ihre Arbeit gewährt haben.


(Das Interview führte Fabian Joel Walter.)